Wütend und Zornig

Die Terrorattacke von Solingen mit drei Toten und mehreren Schwerverletzten lässt mich nicht los. Da ist die Tat, der mutmaßliche Hintergrund, so schlimm wie irgendwie aber auch erwartbar. Was mich jedoch wirklich schockiert sind die politischen und medialen Reaktionen. Anstatt dem Problem des islamistischen Terrors und der Ablehnung unserer freiheitlichen Gesellschaft durch viel zu viele Migranten auf den Grund zu gehen, wird allen Ernstes über Messerverbote und die Länge von Klingen diskutiert.

Wir sind also selbst bei einem Thema, bei dem es um Leben und Tod geht, bei der „bewährten“ Herangehensweise: da machen wir ein Gesetz! Denn wenn der Terrorist kein Messer mehr mit sich führen darf …

Auch wenn es in unserer Verwaltung „nur“ ums Geld und die Finanzierung unseres Staates geht, kennen wir diesen Ansatz im Übermaß: zu glauben, wenn man nur erst ein Gesetz hat, dann ist alles gut. Aber wie Professor Di Fabio in seiner Rede beim Gewerkschaftstag in Würzburg festgestellt hat, fangen dann die Probleme ja erst an. Denn Vorschriften bedeuten nach unserem tradierten Rechtsverständnis, auch dafür Sorge zu tragen, dass sie eingehalten werden. Dazu muss man ihre Einhaltung nicht nur überprüfen können, man muss es tatsächlich auch tun, allein schon um eine gewisse präventive Wirkung zu erzielen!

Die letzten Wochen haben uns in Erinnerung gerufen, wie viel in Gesetzgebung und Vollzug rund um das Thema Cum-Ex, also der betrügerischen Erstattung bzw. Mehrfacherstattung von Kapitalertragsteuer, im Argen liegt. Am 16. Juli nun hat die Süddeutsche Zeitung das Thema Cum-Cum aufgegriffen, bei dem ausländische Inhaber deutscher Aktien zur Erlangung einer unrechtmäßigen Kapitalertragsteuer- Erstattung die Aktien auf Inländer übertragen… Dabei soll es um einen Schaden von mehr als 28 Milliarden für den deutschen Fiskus gehen – und das Bundesfinanzministerium soll jahrelang aktive Beißhemmung gelebt haben. Daneben gibt es dann noch die Variante der ADR (American Depository Receipts). Hier spricht man von mindestens 30 Milliarden Schaden, womöglich sogar deutlich mehr.

In einem Bereich unserer Kernaufgaben haben wir über Jahrzehnte erlebt, wie die Außendienste nur noch einen immer kleineren Teil der Unternehmen prüfen konnten, weil die Diskrepanz zwischen Prüferzahl, Zahl der Unternehmen und deren wirtschaftlichen Aktivitäten immer eklatanter geworden ist. Die 200.000 Kleinbetriebe wurden zuletzt statistisch nur noch alle knapp 50 Jahre geprüft. Mit den Veränderungen durch die neuen Betriebsgrößenklassen zum 1.1.24 rutschen die allermeisten davon sogar in den Topf der Kleinstbetriebe und werden künftig noch deutlich seltener geprüft werden.

Wie will man das gegenüber den Lohnsteuerzahlern eigentlich noch rechtfertigen, was hier ungeprüft und unaufgearbeitet dem Staat an Steuern entgeht? – Und wie den Aufwand, den wir mit der Besteuerung der Arbeitnehmer betreiben? Und wie lange können wir ihn uns noch leisten, nachdem trotz eines recht erfolgversprechenden Zweite- Chance-Verfahrens bei der Nachwuchswerbung für die 2. QE nur 630 anstatt der benötigten 950 Anwärter für die Steuer zum 1. September eingestellt werden können?

Das alles, nachdem unsere Leute seit Jahren am Anschlag arbeiten und sich Tag für Tag mit den Defiziten unserer Technik herumzuschlagen haben und viel zu viel letztlich entbehrliche Arbeiten verrichten müssen. Das sollte man einmal durchforsten, anstatt unseren Beschäftigten immer mehr aufzuhalsen! – So wie gerade wieder mit dem jetzt doch für alle Beschäftigten verpflichtenden BayLern-Kurs über die „bürgernahe und geschlechtergerechte Sprache in der Steuerverwaltung“. Verpflichtend nicht nur für die Anwärter und sonstige Neuzugänge, nein, für alle! Auch für diejenigen, die das „Geschäft“ seit Jahrzehnten beherrschen!

Der Gipfel des Unsinns, den sich die Professoren des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache zusammen mit vermutlich einigen der Praxis sehr fernen Beamten des Bundes und der Länder ersonnen haben, sind die Bescheid- Erläuterungstexte in Ich-Form! Kein Mensch, der jemals in der Praxis gearbeitet hat, käme auf die Idee seine hoheitliche Tätigkeit auf eine persönlich-emotionale Ebene zu ziehen. Der Eindruck, der dabei entsteht, dass der Rechtsanwendung ein Wollen und Ermessen zugrunde liegt, ist fatal!

Absurd wird das Ganze freilich dadurch, dass auf den Steuerbescheiden seit Jahren kein Bearbeiter-Name mehr angegeben wird. Wer also ist dieses ICH? Soweit ein paar Themen dieser Sommertage. Auch über die Bahn könnte man noch etwas schreiben … „Wütend und zornig“ ist übrigens unser Kanzler.