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Ziele im Leben – Die Seite 3 im Juli 2025

Selten dürften Aussagen eines Bundeskanzlers aus seiner ersten Regierungserklärung so deutlich widerlegt worden sein, wie im Fall von Friedrich Merz, der davon gesprochen hatte, wir müssten in Deutschland „wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten“. Was ich hier vor einem Monat als persönliche Überlegungen präsentiert hatte, haben zwei staatliche Einrichtungen des Bundes inzwischen bestätigt: Noch nie wurden in Deutschland so viele Arbeitsstunden geleistet wie im vergangenen Jahr! Zwar weichen die Zahlen des Statistischen Bundesamts, das zum Innenressort gehört, und des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, das eine besondere Dienststelle der Bundesagentur für Arbeit ist, voneinander ab, die Aussagen sind aber die gleichen.

Die Zahlen des IAB zeigen, dass 2024 54,7 Mrd. Arbeitsstunden geleistet wurden – etwa 3,6 Mrd. Stunden mehr als 10 Jahre zuvor und etwa 7 Mrd. mehr als 20 Jahre zuvor! Während in diesen zwei Jahrzehnten die Summe der in Vollzeittätigkeit erbrachten Arbeitsstunden mit inzwischen gut 40 Mrd. nur unwesentlich gewachsen ist, kommt der Aufwuchs im Wesentlichen aus der Teilzeitarbeit und zu einem kleinen Teil auch aus der Zunahme von Nebentätigkeiten.

Vor dem CDU-Wirtschaftsrat hatte der Kanzler im Mai zum gleichen Thema noch kritische Anmerkungen zur „Vier- Tage-Woche“ und zur „Work-Life-Balance“ gemacht. Damit würden „wir den Wohlstand unseres Landes nicht erhalten können“, so Merz. – Das mag sein. Es stellt sich aber die Frage, wieso so viele Menschen auf eine 4-Tage-Woche setzen und ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen Arbeiten und dem restlichen Leben anstreben, anstatt ihren Beruf noch stärker in den Mittelpunkt zu stellen. Und: könnte es womöglich anders sein, wenn politische Weichenstellungen anders wären?

Ich will dazu einen Aspekt herausgreifen, den ich für sehr bedeutsam halte. Generationen junger Menschen haben darauf hingearbeitet und -gespart, sich Wohneigentum zu schaffen. Das ist heute aber praktisch unmöglich. Zu sehr sind die Immobilienpreise in den vergangenen 15 Jahren durch die Decke gegangen. Wer keine Erbschaft macht oder im Lotto gewinnt, ist hier außen vor, denn nur von der eigenen Hände und des eigenen Geistes Arbeit kann sich heute allenfalls noch eine kleine Einkommenselite Wohneigentum leisten. Auf was also hinarbeiten? Für welches Ziel sich aufarbeiten?

Was ist da eigentlich schiefgelaufen in unserem Land? Ich denke, man hat in Deutschland den Wohnungsbedarf über mindestens zwei Jahrzehnte völlig falsch eingeschätzt; flankiert noch von dem Wunsch, durch weniger Bauen der Umwelt etwas Gutes zu tun. – Nur leider haben uns die niedrigen Geburtenzahlen in die Irre geführt. Denn tatsächlich ist die Einwohnerzahl bis heute immer weiter gestiegen! Daneben hat man die Bauvorschriften in geradezu irre Sphären getrieben, was Bauen extrem teuer macht. Dazu ist der Bau erschwinglichen Wohnraums seit Jahrzehnten zurückgegangen, nicht zuletzt auch durch die Passivität öffentlicher Akteure, während womöglich nur als Fünftwohnsitz genutzte Luxuswohnungen sogar noch zusätzlich Baugrund binden.

Den Hauptgrund für die Entwicklung sehe ich aber in der Null-Zins-Politik der EZB in der Folge der Eurokrise. Über ein Jahrzehnt sind so Aber-Milliarden in den „sicheren Hafen“ Deutschland geflossen und haben die Immobilienpreise in die Höhe getrieben. Dazu konnten sich Vermögende nahezu kostenlos Geld leihen und auf Immobilien- Einkaufstour gehen, was die Preise in Ballungsräumen und weit darüber hinaus weiter getrieben hat. – Wer kein Vermögen hatte, bekam übrigens auch keinen Kredit und darf sich heute mit den in der Folge massiv gestiegenen Mieten herumschlagen … Dazu das viele Schwarzgeld, das ins Geldwäsche-Paradies fließt!

Wenn der Bundeskanzler an dieser Stelle die Motivation zur Mehrarbeit stärken will, muss er dafür sorgen, dass gebaut werden kann und gebaut wird. Und er sollte sich überlegen, ob unser Land, das weltweit mit die höchste Besteuerung von Arbeit hat und mit die niedrigste Besteuerung von Vermögen, nicht an einem Punkt angekommen ist, wo dies das Engagement im Land lähmt. Eine Erbschaftsteuer, die auch die Reichen trifft, und eine Besteuerung von nicht erarbeiteten Vermögenszuwächsen halte ich für dringend geboten, um dem Leistungsgedanken wieder stärker Geltung zu verschaffen.

Das Immobilienthema ist aber noch größer: infolge der Immobilienpreise steigen die Mieten ins Unermessliche. Deshalb können sich immer mehr Menschen das Leben und Arbeiten in Ballungsräumen nicht mehr leisten, siehe Gastronomie oder öffentlicher Dienst!

Und: für 7 Millionen Menschen bezahlt „der Staat“ inzwischen die Miete (ZEIT-Dossier vom 3. Juli 2025), was nicht nur bei Millionen anderen auf mangelnde Akzeptanz trifft und sie den Extremen ein Stück näher bringt, sondern auch einen gewaltigen Pull-Effekt auf das Mietpreisniveau ausübt – und den Staat inzwischen auch 20 Milliarden im Jahr kostet.