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Offenbarungseid

Die Seite 3 Oktober 2019

Die Personalausstattung in der Steuerverwaltung hat über Jahre und Jahrzehnte mit dem Aufgabenwachstum nicht ansatzweise Schritt gehalten. Das gilt für Bayern, das beim entscheidenden Parameter, nämlich der Zahl der Beschäftigten im Verhältnis zur Zahl der Einkommen- und Körperschaftsteuerfälle den vorletzten Platz unter den Bundesländern belegt (2016). Das gilt aber auch für die allermeisten anderen Bundesländer. Wo in den Innendienstbereichen mit einem hohen Maß an Digitalisierung jedenfalls die Produktion von Steuerbescheiden aufrechterhalten wird, lässt sich der extreme Mangel in den Außendiensten immer weniger kaschieren. Insbesondere bei der Betriebsprüfung lassen sich die Fakten – kaum – unter den Tisch kehren. Und die Fakten sprechen eine deutliche Sprache: Während die Zahl der Betriebsprüfer und Betriebsprüferinnen gleich bleibt, weil wir einfach nicht mehr Personal haben und eine weitere Verlagerung vom Innendienst in den Außendienst nicht zu verantworten wäre, wächst die Zahl der Unternehmen immer weiter. Und die Betriebe werden immer größer, immer komplexer und immer internationaler in ihrem Geschäftsbetrieb. Auch in ihren steuerlichen Gestaltungen übrigens!

Was also tun, um den Eindruck zu erwecken, dass die Arbeit in einem Verhältnis zum vorhandenen Personal steht?
Man passt die Betriebsgrößenklassen (G1-3, M, K) an, und zwar nicht etwa entsprechend der Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts oder Ähnlichem, sondern deutlich stärker. Der Effekt? Die Zahl der Großbetriebe steigt nicht so sehr oder sinkt gar ein wenig, weil weniger Unternehmen die neuen Umsatz- und Gewinngrenzen erreichen. Das gleiche bei den Mittel- und den Kleinbetrieben. Letztere fallen womöglich auf den Kleinstbetriebs-Status zurück und unterliegen fortan überhaupt nicht mehr der „regelmäßigen“ Betriebsprüfung. So sind Bund und Länder zum 1.1.2016 verfahren, als man die wesentlichen Abgrenzungsmerkmale um 11 bis 12 % angehoben hat, im Bereich der Land- und Forstwirtschaft sogar um bis zu 36 %. Und so ging es weiter zum 1.1.2019, wo die Grenzen zum Großbetrieb wieder um rund 8 %, die zum Mittel- und Kleinbetrieb um rund 10 % angehoben worden sind.
Man kann aber auch Ziele, die man nicht mehr erreichen kann, außer Kraft setzen oder für nicht mehr erstrebenswert erklären – auch, wenn der Oberste Rechnungshof an diesen festhält. So geschehen bei den Prüfungsturnussen. Das sind die statistischen Abstände zwischen zwei Betriebsprüfungen bei demselben Betrieb. Sie ergeben sich in der jeweiligen Betriebsgrößenklasse, wenn man retrograd die Zahl der in einem Jahr geprüften Unternehmen ins Verhältnis zur Gesamtzahl der Betriebe setzt. Nachdem man etwa in Bayern die ursprünglichen Ziele bei den Mittel- und Kleinbetrieben seit Jahren um etwa 100 % überschreitet (zum Beispiel: Prüfung nur alle 20 Jahre anstatt alle 10 Jahre), erklärt man sie für obsolet – vgl. hierzu unsere Ausführungen auf Seite 8 der bfg-Zeitung 08-09/2018!
Aber damit nicht genug: Jetzt sollen zum 1.1.2022 (die Werte werden alle 3 Jahre neu festgelegt) die G3-Betriebe zu Mittelbetrieben herabgestuft werden, die Mittelbetriebe zu Kleinbetrieben – ja und die Kleinbetriebe in den großen Topf der Kleinstbetriebe wandern, der nach bisherigem Stand überhaupt nicht der regelmäßigen Betriebsprüfung unterliegt!
Für Bayern bedeutet dies, dass nach geltendem Recht von den bisher rund 390.000 Betrieben (G, M, K) rund 200.000 künftig nicht mehr der Betriebsprüfung unterliegen!
Um was es hier geht? Etwa darum, dass ein Freiberufler mit bis zu 165.000 Euro Jahresgewinn, der heute schon statistisch in der Regel nur etwa alle 40 Jahre Besuch von der Betriebsprüfung bekommt, künftig überhaupt nicht mehr der Betriebsprüfung unterliegen würde!
Und es geht etwa darum, dass heute im Schnitt jede Betriebsprüfung bei einem Kleinbetrieb, obwohl die wenigsten ja ganz überraschend kommen, unserer Gesellschaft zwischen 20.000 und 25.000 Euro Mehrsteuern erbringt. – Leider ja nur alle 40 Jahre!
Es geht aber auch darum, dass die Steuererklärung vergleichbarer Arbeitnehmer Jahr für Jahr ganz selbstverständlich überprüft wird, soweit diese überhaupt die Möglichkeit haben, etwas steuermindernd geltend zu machen.
Ein Offenbarungseid der Steuerverwaltungen! Man passt jetzt brachial wie nie die Fallzahlen ans vorhandene Personal an.
Aber auch ein Spiel mit dem Feuer! Völlig ungerührt von den öffentlichen Diskussionen über wachsende Ungleichheit, über ein – so empfundenes oder tatsächliches – Auseinanderdriften von Einkommen und Vermögen, zündeln Bund und Länder hier geradezu am sozialen Frieden im Land!
Wer das geschehen lässt, braucht über Steuergerechtigkeit jedenfalls nicht mehr zu reden!