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Lernbegleiter

Seite 3 Oktober 2017

Da ich diese Zeilen schreibe, sitze ich im Zug, der mich heimbringt vom 25. Realschultag des Bayerischen Realschullehrerverbands brlv, einem unserer befreundeten Verbände. Bei der dortigen Podiumsdiskussion, in der es insbesondere um die Veränderungen durch die Digitalisierung gegangen war, ist der Begriff des „Lernbegleiters“ gefallen – als vermeintlich zeitgemäße Formulierung anstelle der des Lehrers. Als bedürfte es in diesen modernen Zeiten nur noch der Begleitung der Schüler, nur noch des Lenkens ihrer Interessen … Der brlv-Vorsitzende Jürgen Böhm hat den Begriff in aller Deutlichkeit zurückgewiesen.

Mich erinnert das Ganze an die Situation in der Finanzverwaltung. Auch wenn es um unsere Verwaltung geht, verspüre ich immer wieder die Erwartung, die Beschäftigten müssten künftig nur noch „Begleiter“ digitaler Verfahren sein. Und auch hier kann ich nur warnen!
Bei uns hat der Einsatz von IT ja eine lange Tradition. Sowohl in der Steuerverwaltung als auch in der Staatsfinanzverwaltung sind Entwicklungen der Digitalisierung im Vergleich zu anderen Verwaltungen sehr weit fortgeschritten. Und dennoch: die Erwartungen an diese Entwicklungen sind selten erfüllt worden, was freilich in aller Regel weniger an den Verfahren, als an den zu hohen bzw. falschen Erwartungen gelegen hat!
So ist es auch heute. Überall dort, wo unter welchen Begrifflichkeiten auch immer ein IT-gestütztes Risikomanagement betrieben wird, werden Prozesse nicht einfacher und erledigen sich schon gar nicht von alleine. Vielfach bedeuten sie Mehraufwand, lassen dafür aber auf neue Prüfmöglichkeiten und eine Qualitätsverbesserung hoffen. Und auch wenn wir voraus blicken: Plausibilitäten einschätzen, Daten, Richtsätze und andere Erfahrungswerte abgleichen und zur Verfügung stellen, Ausfallrisiken berechnen, das sind Dinge, die ein Risikomanagement kann. Prüfen aber, das wird dem Menschen vorbehalten bleiben, das wird auch zukünftig die Arbeit von Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern, von Prüferinnen und Prüfern sein!
Hier kann es und hier darf es zu keiner Umkehr der Verhältnisse kommen: nicht der Mensch „begleitet“ die Maschine, sondern die Maschine den Menschen! Nur so wird Qualität in der Arbeit zu erreichen sein und nur so können attraktive Arbeitsplätze erhalten oder geschaffen werden.
Dass wir heute vielfach derart mit dem Aufbau von Dauertatbeständen, oder der Bereinigung von Daten etc. beschäftigt sind, mag einen daran zweifeln lassen. Dieser Aufwand muss reduziert werden. Auch muss es das Ziel sein, dass die Fälle, die das System für risikoarm hält, überhaupt nicht mehr auf dem Tisch der Sachbearbeiter landen. Alles andere wäre nicht akzeptabel.
Was aber bei den Sachbearbeitern landet, das wird künftig nur noch sehr anspruchsvolle Arbeit sein: eine Auswahl der schwierigen Fälle, Sachverhalte und Rechtsfragen! – Es wird damit zu einer weiteren Arbeitsverdichtung in qualitativer Hinsicht kommen, nachdem wir eine solche bereits durch die Aufgabenabschichtungen der letzten Jahrzehnte in beiden betroffenen Laufbahngruppen erlebt hatten. Wenn aber die Einstiegsebene, die früher die Laufbahngruppe der „Mitarbeiter“ war, künftig nicht mehr „nur“ einfachere Sachbearbeiteraufgaben erledigt, sondern nur noch für schwierige Fälle zuständig sein soll, dann wird dies auch Konsequenzen in der Bezahlung haben müssen. Für die Beschäftigten der dritten Qualifikationsebene gilt dies in gleicher Weise, und auch für Führungskräfte verändern sich damit die Anforderungen.
Debakel – und jetzt?
Noch nie habe ich auf eine „Seite 3“ so viele Reaktionen erhalten, wie auf meine Kritik an den Verhältnissen rund um das Studium zum Diplom-Finanzwirt in der vorigen Ausgabe. Sie waren durchwegs positiv. Das Thema brennt allen Beteiligten unter den Nägeln. Ich hoffe es gelingt in den nächsten Monaten die eine oder andere Verbesserung auf den Weg zu bringen.
Bei der Bundestagswahl hat sich mit einem Stimmanteil von mehr als 12 Prozent für die AFD das befürchtete Debakel eingestellt. Im neuen Bundestag sitzen damit auch menschenverachtende Rassisten, die Positionen vertreten, die man in Deutschland – jedenfalls als politisch relevant – eigentlich für überwunden gehalten hatte.
Mehr denn je müssen sich die etablierten Parteien jetzt fragen, was gegen Frust, Angst und Unzufriedenheit allzu großer Bevölkerungskreise getan werden kann. Gerechtigkeit bei Steuerpolitik und Steuervollzug scheinen mir jedenfalls nicht unwichtig. Ich habe an dieser Stelle mehrfach darüber geschrieben.