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Die Ukraine und unsere kleine Welt

Die Seite 3 März 2022

Seit dem 24. Februar ist unsere Welt eine andere. Der lange vorbereitete Überfall Russlands auf die Ukraine ist seit dem 2. Weltkrieg einzigartig in Europa. In manchem erinnert das Drehbuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin an das, was vor mehr als acht Jahrzehnten von Nazi-Deutschland inszeniert worden war auf dem Weg in die Menschheitskatastrophe des 20. Jahrhunderts. Viele von uns dürften auch die Bilder aus den Erzählungen der Eltern und Großeltern im Kopf haben, wenn wir die Nachrichten über die Flüchtenden sehen. Wie sich die bfg-Landesleitung zum Krieg geäußert hat, lesen Sie auf Seite 16.

Angesichts dieses Krieges und des Leids, das er tagtäglich über die Ukrainerinnen und Ukrainer bringt, fällt es mir schwer, mich an dieser Stelle mit unseren Alltagsfragen zu beschäftigen.

Was in der Ukraine völlig fehlte, war eine wirksame Abschreckung. Mangels moderner Militärtechnik der Ukraine und mangels Unterstützung durch den Westen war das militärische Risiko für den Aggressor Russland sehr gering.

Der Aspekt der Abschreckung spielt nicht nur beim Militär eine Rolle, sondern auch im Straßenverkehr, wo sich die Fahrer eben nie sicher sein können, dass nicht „geblitzt“ wird und sie ihren Führerschein verlieren. Und so sollte es auch im Verhältnis der Steuerpflichtigen (so heißt das nämlich eigentlich!) zum Staat sein. Doch sprach der Oberste Rechnungshof schon vor einem Jahrzehnt von der „schwindenden Präventionswirkung“ unserer Betriebsprüfung infolge starker Unterbesetzung und allzu großer Turnusse – einer Situation, die sich seither noch erheblich verschärft hat. Sie können das in der letzten Ausgabe der bfg-Zeitung nachlesen. Denn welches Risiko besteht, wenn man allenfalls in jeder Generation einmal mit einer Prüfung rechnen muss? Aber womöglich ist die Vernachlässigung der Finanzverwaltung ja sogar Teil dessen, was Deutschland heute als „Profitgier“ vorgeworfen wird.

Wenn man 60 Jahre nach der Spiegel-Affäre NATO und Bundeswehr ungestraft nur „bedingt abwehrbereit“ nennen darf, dann hat das viel damit zu tun, dass sie in Deutschland politisch wie gesellschaftlich in eine Schmuddelecke geschoben wurden. Da stehen sie nun zusammen mit der Finanzverwaltung, für die man sich in weiten Kreisen ganz ähnlich schämt. Viele von uns können ein Lied davon singen …

Meine letzte Seite Drei endete mit der Sorge um die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit unserer Verwaltung:„Denn als Finanz- und IT-Experten sind wir anderswo gefragte Leute.“ Die regelmäßigen Abgänge von Kolleginnen und Kollegen in die Privatwirtschaft und andere Verwaltungen beweisen das nachdrücklich. Jeder kennt wahrscheinlich Dutzende ehemaliger Kolleginnen und Kollegen, die außerhalb der Finanzverwaltung ihren Weg gemacht haben. Mir geht es nicht anders. Vier Kollegen allerdings haben meinen eigenen Weg sehr eng begleitet, dann der Finanzverwaltung aber den Rücken gekehrt. Da ist zum einen mein bester Freund der Herrschinger Studienzeit. Er ist nach kurzem Einsatz in München-Körperschaften zu Wacker Chemie gewechselt, wo er es bis zum Leiter der Steuerabteilung gebracht hat.

Als ich dann später einen Nachfolger im Vorsitz der bfg-Jugend gesucht habe, waren drei Kollegen im Spiel. Zwei davon haben wenige Jahre später die Verwaltung verlassen: Werner Stuffer, damals bfg-Bezirksjugendleiter, kam nach Jahren bei Siemens, PWC und EY zu ZF Friedrichshafen, mit 32 Mrd. Umsatz und 150.000 Beschäftigten einer der größten Automobilzulieferer der Welt. Dort ist er zum Senior Vice President aufgestiegen. Mein Schatzmeister Anton Kreckl hat einen bodenständigeren Weg eingeschlagen, eine eigene Kanzlei gegründet und ist heute als Geschäftsführer der BBV-Steuerberatung ein gefragter Experte in der Besteuerung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe. Schließlich mein Nachfolger im Vorsitz des bfg-Ortsverbands Memmingen. Er hat vor wenigen Jahren der Verwaltung ade gesagt und ist Partner in einer Steuerkanzlei geworden.

Mit diesen vier sehr persönlichen Beispielen aus der Steuerverwaltung will ich greifbar machen, wie groß die Verlockungen aus der Privatwirtschaft für unsere Leute sind. In Staatsfinanz und IT sieht es kaum anders aus. Um das Thema abzurunden ein Blick in die (gestrige) Ausgabe der Bayerische Staatszeitung vom 4. März: zehn Stellenanzeigen, die direkt auf Beschäftigte von Steuer, Staatsfinanz oder IT abzielen. Daneben sechs weitere, bei denen Bewerberinnen und Bewerber aus unserem Kollegenkreis gute Chancen haben dürften.

Wieso, so fragen sich viele, bezahlt der Staat seine qualifizierten Leute so schlecht? Wieso bietet er einer so begehrten Berufsgruppe Eingangsämter A 6 und A 9 (IT A 10), wo er anderen, die außerhalb des öffentlichen Dienstes allenfalls auf einen „Job“ hoffen dürften, in A 7 und A 12 einsteigen lässt?