Ganz nah am Abgrund - Die Seite 3 im Mai

Knapp 90 Prozent der Beschäftigten in den Finanzämtern sind Beamtinnen und Beamte der 2. und 3. QE. Für beide Einstiegsebenen erfolgt der Zugang dabei ausschließlich über die verwaltungsinterne Ausbildung an der Landesfinanzschule Bayern und der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern.

Nachdem die bfg über Jahre darauf hingewiesen hatte, dass bei den Einstellungsverfahren auf immer höhere Platzziffern der LPA-Liste zurückgegriffen werden muss, konnten im Einstellungsverfahren 2022 erstmals in großem Stil Anwärterplätze nicht besetzt werden! Rund 120 junge Leute betrug dabei das Minus. Aber das scheint nur der Beginn einer Entwicklung gewesen zu sein, denn für das Einstellungsjahr 2023 sieht es noch viel düsterer aus! So deutet im Moment vieles darauf hin, dass von den 630 Anwärterstellen in der 3. QE gerade einmal die Hälfte besetzt werden kann. Und auch für die 2. QE, wo wir uns um 640 Anwärter bemühen, werden wohl wieder Ausbildungsplätze frei bleiben!

Eine Katastrophe angesichts der Arbeitsbelastung und dem für 2025 anstehenden weitgehenden Ausfall des Abiturjahrgangs aufgrund der Wiedereinführung von G9! Eine Katastrophe aber auch, weil nicht erkennbar ist, wie diese Entwicklung auf die Schnelle gestoppt werden könnte! Wir stehen ganz nah am Abgrund! Es mag ja gut gemeint sein, wenn der eine oder andere darauf hinweist, Nachwuchsmangel gebe es überall, nicht nur die Finanzverwaltung. Das ist oberflächlich betrachtet sicherlich so. Nur ist nirgends (!) die Gewinnung von eigenen Auszubildenden der einzige (!) Weg der Personalgewinnung. Denn durch das Steuerbeamtenausbildungsgesetz (StBAG) ist sogar rechtlich jeglicher Zugang zu einem späteren Zeitpunkt verbaut. Das gilt es bei der Einschätzung unseres Nachwuchsproblems zu bedenken!

Wir müssen deshalb realistischerweise davon ausgehen, dass das Personaldefizit innerhalb von nur wenigen Jahren eine Dimension annehmen wird, die der Steuerverwaltung die Handlungsfähigkeit raubt. Denn schon heute sind wir davon nicht mehr weit entfernt. Vor diesem Hintergrund haben wir uns entschieden, auch in unserer Zeitung das Thema der Nachwuchsgewinnung in dieser und den nächsten Ausgaben in den Mittelpunkt zu stellen. Nachwuchsgewinnung wird letztlich aber nur erfolgreich sein, wenn die Finanzverwaltung den jungen Leuten auch attraktiv erscheint.
Das beginnt bei der Attraktivität des Einstellungsverfahrens selbst, die nicht gegeben ist. Denn wenn wir eh um jeden froh sein müssen, der sich bewirbt, sollte man doch schleunigst nichtfachliche Zugangshürden abbauen und Verfahren schaffen, die den Leuten den Zugang maximal ermöglichen!
Dazu kommt: junge Leute planen nicht mehr fürs ganze Leben, fahren vielmehr auf Sicht. Sie sehen nicht Beamtenstatus, Beförderungsmöglichkeiten und Altersversorgung. Sie sehen aber eine Eingangsbesoldung, die sie nicht für interessant erachten. Und weil sich die jungen Leute heute erkundigen und sehr viel mehr vergleichen als frühere Generationen, stoßen sie neben konkreten Angeboten aus der Privatwirtschaft auch auf allerlei Gehaltsvergleiche.

Um das nachzuvollziehen habe ich mir einmal die StepStone Gehaltsreporte über mehrere Jahre angeschaut. Dabei ergibt sich immer das gleiche Bild: Finanzen, Recht und Banken sind die Bereiche, in denen nach der Medizin am meisten zu verdienen ist. Im Report für 2021 ist dann auch dargestellt, dass man mit einem Diplom an einer FH im Jahreseinkommen nur wenig dem diplomierten Absolventen einer Uni nachsteht und sehr viel mehr verdienen kann als ein Bachelor- oder Masterabsolvent. An anderer Stelle wird aufgelistet, welche Einstiegsgehälter Studienabsolventen erzielen und welches Durchschnittsgehalt mit ihrem Studium auf sie wartet. Wenn dann Rechtswissenschaften, BWL und Wirtschaftswissenschaften weit vor den Erziehungswissenschaften oder Philosophie und Geisteswissenschaften liegen, wieso sollte ein junger Mensch mit entsprechendem Interesse zur Finanzverwaltung gehen, wo im öffentlichen Dienst diese Marktgesetze offenbar auf den Kopf gestellt sind?

Um konkurrenzfähig zu werden, aber auch um eine funktionsgerechte Gehaltsstruktur herzustellen, braucht es für die Finanzverwaltung eine Verbesserung der Eingangsbesoldung, eine Anhebung der Führungsebene auf A 14 als Basis und die hier bereits einmal angesprochenen Verbesserungen in der Stellenwertigkeit als rechtliche und moralische Konsequenz aus den tausendfachen Aufgabenabschichtungen in die 2. QE. Wie so etwas geht, hat die Staatsregierung mit ihrem Gesetzentwurf für die Grund- und Mittelschullehrer aktuell gezeigt …